Narzissmus

Flammarion

Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und sonstige Narzissten

Esoteriker haben nichts weniger als "eine kosmische Mission auf Erden“ zu erfüllen. Nach eigenem Bekunden. Das ist eben nun einmal, bei aller Bescheidenheit, ihre Berufung: Sie sind schlicht auserwählt. Eine Art Licht- oder Engelwesen, Evolutions-Agenten. Bereits in ein höheres Bewusstsein erwacht als der Rest der Menschheit. Denn die anderen, das sind nur Schlafschafe. Die unerweckt in träumerischer Dunkelheit vor sich hindämmern. Erwählt wurden die spirituell überlegenen übrigens von einer wie auch immer gearteten kosmischen Entität. Gott? Außeriridische? QAnon? Näheres ist nicht bekannt. Und je nach Gruppierung beliebieg austauschbar. Daher ist diese ominöse Entität auch eine grandiose Projektionsfläche für jede ganz individuelle Heilsvorstellung.

spiderman 2478977 640Was man von Narzissten lernen kann

Auf den ersten Blick würde wohl jeder vernünftige Normalsterbliche spontan behaupten:

Rein gar nichts.

Jedenfalls nichts, was irgendwie zwischenmenschlich von Erfolg gekrönt ist, schon gar nicht langfristig.

Das ist aber nicht ganz richtig, denn der Narziss lehrt uns beispielsweise das perfekte Styling für jede Bühne dieses Lebens.

Freud SofaIst der Narziss therapierbar?

Gewöhnliche Menschen kann man bis zu einem gewissen Grad vor sich selbst beschützen. Nicht so den Narziss. Das wirkliche Leben bietet zwar mannigfaltige Möglichkeiten, sich weiter zu entwickeln. Der Narziss nutzt keine von ihnen.

Der Narziss möchte nicht geholfen werden. Beratung ist was für Normalsterbliche. Er weiß, wie das Leben geht. Therapie? Er ist doch nicht krank! Also benötigt er auch keine Heilung. Er hat ja schließlich keinen Leidensdruck. Den haben nur die anderen. Der Narziss besteht bestenfalls darauf, dass man seine hypochondrischen Zipperlein lindert und gegebenenfalls anfallende körperliche Defekte wie zum Beispiel das Altern repariert.

All is Vanity So vergeht der Ruhm der Welt (und der Narziss mit ihr)...

Mit zunehmendem Alter lässt jedoch die Strahlkraft des Narzissten entschieden nach, es sei denn er ist reich, mächtig und wichtig. Dann lässt seine Strahlkraft zwar auch nach, aber nicht die seines Amtes, seiner Macht oder seines Geldes. Das liegt vor allem daran, dass seine normal sterblichen Mitmenschen ihm Gegensatz zu ihm an Lebenserfahrung gewinnen und sich vom äußeren Glanz des Narzissten nicht mehr im gleichen Maße blenden lassen.

Außerdem sind selbst Narzissten einem gewissen Alterungsprozess unterworfen, auch wenn sie das für gewöhnlich hartnäckig bestreiten und mit allen nur erdenklichen Mitteln gegen die Zeit arbeiten. Aber leider ist bis heute kein einziger Fall bekannt, in dem Botox und Skalpell zu mehr Seelenheil und Charisma beigetragen hätten.

Karl Lagerfeld & Choupette


Die Beziehung eines Narzissten zu seinem Co kann man sich am besten so vorstellen wie die eines Herrchens zu seinem jungen Welpen: Das Hündchen hechelt seinem Besitzer schwanzwedelnd hinterher, während dieser das Würstchen an der Angel gerade so hoch hält, dass der Welpe den Leckerbissen immer ganz knapp verfehlen muss. Erreicht es das Würstchen dann doch einmal, ist das gewissermaßen das Krönchen seiner bedauernswerten Lebensform.

BeziehungNarziss & Co. Liebe und Hiebe

Die Konstellation Narziss & Co findet man häufig bei alten Ehepaaren. Da kann man ja mit der Zeit kaum noch unterscheiden: Wer ist nun eigentlich der Narziss und wer der Co? Aber wie ist es mit zwei dominante Narzissten? Kann das gutgehen? Das wäre ja ungefähr so, als könnte es in unserem Sonnensystem noch eine andere Sonne neben der einen geben. Oder einen zweiten Gott neben dem Allmächtigen. Es würde zwangsläufig zu einem Schisma führen. Oder zu einem Polsprung. Die Folgen wären auf jeden Fall vollkommen unberechenbar und vor allem katastrophal.

Narziss und Co-NarzissCo-Narziss - Macher oder Masochist?

Vollkommene Verschmelzung

Der Co-Narziss ist der Bewirker im Verborgenen, der Puppenspieler, der die Fäden zieht, der große Manipulator hinter den Kulissen, der den Narziss wie einen Deus-ex-machina glanzvoll auf der Bühne erscheinen lässt.

Das wäre er zumindest gerne. Denn er leidet am Heile-Welt-Syndrom und verklärt daher seinen Narzissten zum Idol. Dieser besitzt alles, was ihm selbst fehlt. Selbst seine allerschlimmsten Fehler (von denen er nach eigener Einschätzung nur allzu viele hat) werden durch den Narzissten zu rühmlichen Vorzügen veredelt. Doch seine kleine Welt wird erst perfekt, wenn er mit seinem Narzissten zu einer vollkommenen Einheit verschmolzen ist. Was im wirklichen Leben allerdings eher selten gelingt.

Narzisstische BeziehungDer Narziss und das Heile-Welt-Syndrom

Der Narziss muss gefüttert werden. Er braucht seine Ich-Erweiterungen wie die Luft zum Atmen. Im Gegenzug sorgt er dafür, dass es seinem Umfeld gut geht. Schon, damit es ihm selbst gut geht. In diesem Sinne ist er durchaus zu überschwänglicher Fürsorge fähig. Umso mehr, je mehr die Sorge, die er anderen angedeihen lässt, auch seinem eigenen Wohlergehen dient. Selbst nach seinem Tode möchte er noch gut dastehen. Glücklicherweise geht der Trend dabei heute eher weg von Pyramiden und hin zu Hinterlassenschaften, die für die Hinterbliebenen von unmittelbarem, geldwertem Nutzen sind.

android cyborgDer Narziss und sein Partner

Die jeweiligen Partner an der Seite des Narzissten erscheinen oft eigentümlich beliebig, wahllos und irgendwie austauschbar. Hauptsache aber vorzeigbar. Das liegt daran, dass der Narziss sich sowieso am liebsten selbst heiraten würde, wenn er könnte. Was auch gar nicht so selten vorkommt. Einen Partner braucht er eigentlich nur, weil er gewisse Bedürfnisse hat, zu deren Befriedigung es einer Ich-Erweiterung bedarf, unter anderem weil

  • es gute PR einbringt und
  • er sich gerne selbst reproduzieren möchte.

Olimpia Menschlicher AutomatDer ideale Co-Narziss

Der Co-Narziss ist ja in der Regel weitaus umgänglicher und entgegenkommender als der Narziss. Aber ein Narziss ist ein Narziss ist ein Narziss.

Nur weil jemand von Natur aus zur Unterwerfung neigt, gerne leidet und sich klaglos in widrige Umstände fügt, macht ihn das nicht automatisch zu einem besseren Menschen. Er tut es ja vielleicht nur, weil es ihn einfacher und bequemer erscheint (zumindest auf den ersten Blick). Das Gute kommt, genau wie das Böse, in Reinform eher selten vor. Außer vielleicht bei Psychopathen und Engeln. Ansonsten gilt hier wie eigentlich fast immer im wirklichen Leben die alte Regel:

Die Dosis mach das Gift.

Affen-SelfieNarzisstische Beziehungsformen

Die Monogamie ist es nicht. Das liegt daran, dass die Monogamie erst in einer ziemlich späten Phase der Evolution dran war und sich bis heute eigentlich nur bei Männchen mit niedrigem Sozialstatus wirklich durchgesetzt hat. Aber eben noch nicht bei den Alpha-Männchen. Oder solchen, die sich dafür halten.

Sollte der Narziss dennoch ausnahmsweise über einen längeren Zeitraum hinweg jemandem die Treue halten, dann nur mangels alternativer Gelegenheiten. Oder aufgrund der Androhung gravierender Sanktionen. Vor allem solcher, die seinem Image schaden könnten.

Apropos Sozialstatus: Der Narziss sucht sich gerne Partner, die ihm Hinblick auf Intelligenz, Bildung und soziale Herkunft unterlegen sind. Dafür gibt es einen einfachen Grund: Sie sind besser zu kontrollieren und leichter zu manipulieren. Das hat Vorteile. Für beide.

LebkuchenpaarDer Narziss - eine Lebensaufgabe

Ein optimal funktionierender Co wäre im Grunde für den Narziss die ideale Ergänzung im Hinblick auf die eigene Bedürfnisbefriedigung. Wenn er nur endlich lernen würde, alle Wünsche von seinen Augen abzulesen und keine Widerworte zu geben. Aber genau das ist halt auch das Problem des Co. Ansonsten wäre die Verbindung wirklich perfekt.

Der Co ist für gewöhnlich eine treue Seele und findet im Narzissten seine Lebensaufgabe.

Frosch im SpiegelDer Narziss und die Liebe

Der Co liebt den Narzissten meistens sehr. Zu sehr. Dafür bekommt er im Gegenzug vom Narzissten Liebe. Na ja, sagen wir mal: So etwas ähnliches wie Liebe. Aber nur, wenn ihm der Co fortwährend bestätigt, dass er tatsächlich so ist, wie er gern sein möchte. Die Tatsache, dass er niemals so sein wird, bekümmert ihn dabei wenig. Der Partner allerdings sollte sich tunlichst von all seinen Selbstverwirklichungs-Projekten verabschieden. Er ist nämlich von Stund‘ an auch nicht mehr einfach nur der, der er nun einmal ist. Falls er denn jemals irgendetwas gewesen ist.

Stan und OllieUnzertrennlich - der Narziss & sein Co

Der Narziss handelt nach der Devise: Im Krieg, in der Politik und in der Liebe ist alles erlaubt. Was auch darauf zurück zu führen ist, dass ihm so merkwürdige Dinge wie Partnerschaft, Nähe oder gar Vertrauen generell fremd sind. Der Narziss vertraut grundsätzlich niemandem, am wenigsten sich selbst. Dennoch geht auch der Narziss aus verschiedenen naheliegenden Gründen Beziehungen ein, bevorzugt mit Co-Narzissten.

Du willst es doch auch!

Der Narziss und sein Co bilden schon deswegen gerne ein Paar, weil sie sich so gut ergänzen.

Don Quijote and Sancho PanzaDer Narziss und seine Ich-Erweiterungen

Der Narziss ist besonders und so hat man ihn gefälligst auch zu behandeln. Damit diese bevorzugte Behandlung stets gewährleistet ist, umgibt er sich mit Menschen, die ihm absolut treu ergeben sind, seinen Ich-Erweiterungen. Er benötigt dafür eine ganze Schar persönlicher Lakaien, die ihm den Popo hinterher tragen und ihn auch ansonsten von den lästigen Bürden des Alltags befreien. Der Narziss besitzt einen überaus sicheren Instinkt dafür, diese Menschen unter Hunderttausenden aufzuspüren. Zu Beispiel in Form eines Butlers oder einer persönlichen Assistentin. Zur Not tut es auch ein williger und gefügiger Ehepartner. Denn ohne seine Ich-Erweiterungen ist der Narziss ein...

clownBesitzen Narzissten Humor?

Es gibt Momente im Leben, die kann man nur dann erfolgreich meistern, wenn man sich auch mal das Lachen verkneifen kann. Zum Beispiel als Bestattungsunternehmer oder Berufspolitiker. Im Grunde sind Sie manchmal sogar besser dran, wenn Sie gar keinen Humor besitzen. Dann müssen Sie sich nämlich nie das Lachen verkneifen und alle Welt denkt, dass Sie vermutlich sehr intelligent und vor allem so souverän sind. Hier ist der Narziss ganz klar im Vorteil.

Mimikry ChamäleonDer Narziss - die Scheinart

Nun könnte man zwar manchmal annehmen, wir, also die Normalsterblichen, wären die Scheinart und der Narziss die echte Art. Schon, weil er uns das gerne glauben machen möchte und dabei einiges an Überzeugungskraft aufbietet. Aber dem ist tatsächlich nicht so. Wirklich nicht.

Der Narziss versteht sich lediglich blendend darauf, sich selbst den Nimbus eines Vertreters der echten Art zu verleihen.

alien invasionDie Narzissmus-Pandemie

Narzisstische Vorbilder sind hochinfektiös. Deswegen greift Narzissmus in unserer Gesellschaft pandemisch um sich. Nachdem aber alle Register narzisstischer Selbstdarstellung bereits gezogen wurden, übt die Gesellschaft ihrerseits wiederum einen enormen Druck auf die Narzissten aus: Sie zwingt sie förmlich dazu, alles Dagewesene zu toppen. Das kann nur noch gelingen, indem der Faktor "Schein statt Sein" weiter hochgeschraubt wird.

Narzissten leben in einer Scheinwelt. Auf einem anderen Planeten sozusagen. Ohne Kontakt zum wirklichen Leben. In einer virtuellen Realität, inszeniert von den Medien. Narzissten bilden auf diesem Planeten eine ganz eigene Spezies. Oder vielmehr eine Scheinart.

Buehne (Opernhaus Graz)Der Narziss ist süchtig nach Rampenlicht

Der Narziss unterscheidet nicht zwischen Person und Funktion. Er genießt sein Dasein auf der Bühne, aber ohne Publikum und Applaus ist das Leben für ihn ein schales Gesöff. Ein ekeliges, zähes, hartnäckiges Ding, das an einem haftet wie ein Taubenschiss. Eine einzige immerwährende graue, eintönige, fade, öde, leere, vergebene, nichtige, tödliche Depression, unterbrochen nur vom gelegentlichen Aufflackern der Scheinwerfer.

Hieronymus Bosch HölleDer Narziss und das wirkliche Leben

Genau genommen ist das Leben extrem banal. Das Faszinierendste am Leben überhaupt ist seine entsetzliche Banalität. Sie erinnern sich vielleicht dunkel an Sartres Hölle in „Geschlossene Gesellschaft“? Die Geschichte beschreibt in Kürze das Dasein des Narzissten: 

Es scheint, als seien die Protagonisten, drei Narzissten übrigens, auf ewig verdammt, miteinander in dieser Banalität ausharren zu müssen. Alle Türen zur Außenwelt sind verschlossen. Die Hauptdarsteller können weder voneinander lassen, noch voreinander fliehen. Ja, nicht einmal töten können sie sich, denn sie sind bereits tot. Ihre Hölle, das sind die anderen. Schließlich geht eine Tür auf. Aber sie verlassen den Raum nicht.

Warum?

Weil sie erkannt haben, dass hinter dieser Türe etwas lauert, das noch viel schlimmer ist als die Banalität ihrer Existenz.

Kosten Nutzen KalkulationDer Narziss braucht ein Quantum Anerkennung

Nun sucht ja bekanntlich jeder mehr oder weniger bewusst nach kleinen Indizien der Anerkennung bei anderen Menschen, doch beim Narzissten gibt es zwei gravierende Unterschiede:

Der eine betrifft die Quantität. Gewöhnliche Menschen gestehen sich ein maßvolles Quantum an Anerkennung zu. Zu viel davon wird eher als belastend empfunden und vermieden. Der Narziss ist dagegen so etwas wie das psychische Äquivalent zum Alkoholiker:

Wichtig!Der Narziss und seine Bedürfnisse

Der Narzissten findet es tröstlich zu wissen, dass der kosmische Maßstab das einzige ist, was bei allen Widrigkeiten da draußen wirklich zählt. Das Alltägliche, das wirkliche Leben, die lästigen Routine der kleinen Menschenwelt - diese Dinge sind nicht nur vollkommen ohne Bedeutung, sondern meistens sogar einfach nur hinderlich. Weil sie vom Wesentlichen ablenken. Denn unter dem Strich zählt nur eines:

Der Narziss ist ein Wohltäter der Menschheit und verdient daher eine einzigartige Behandlung!

LogikDer Narziss - Genius und Inkarnation des Weltengeistes

Der Narziss ist berufen. Ein Auserwählter. Jedes noch so winzige Molekül seiner Existenz, ja, einfach alles was er tut (oder lässt), jede seiner Lebensäußerungen, seine Schöpfung an sich, die Komposition des Gesamtkunstwerks, das sein Leben darstellt, und überhaupt jeder seiner noch so banalen Gedanken - das alles ist durch und durch durchdrungen von universeller Bedeutung.

Spacex MissionDer Narziss hat eine Mission...

Der Weg dorthin ist steinig und mit unzähligen und unsäglichen Fettnäpfen gepflastert, in die der Narziss auf beinahe jedem offiziellen Anlass hinein springt, von denen er geradezu magisch (oder magnetisch?) angezogen wird. Gleichzeitig hechelt ein ganzer Stab hilfloser PR-Agenten atemlos hinter ihm her, um sich immer neue, fadenscheinige Erklärungen für seine peinlichen Fehlleistungen auszudenken. Es ist jedoch vollkommen unmöglich, alle Fettnäpfe vorherzusehen, in die ein Narziss springen kann.

Noch unmöglicher ist es allerdings, den Narzissten direkt darauf hinzuweisen, dass er sich gerade ganz arg daneben benimmt. Von seinen Beratern traut sich das jedenfalls keiner.

... kosmischen Ausmaßes

napoleon bonaparte kaiser der franzosen Narzisstische Politiker

In jedem von uns steckt ein kleiner Weltverbesserer. Eigentlich wissen wir doch alle, wie es geht. Es wäre im Grunde ziemlich einfach. Wenn wir nur an der Macht wären. Aber den Machiavelli haben wir schon mal drauf. Im Vergleich mit echten Narzissten sind wir jedoch ziemlich kleine Lichter. Der Narziss ist nicht nur viel wichtiger als unsereins, sondern vor allem berühmt-berüchtigt für eitle Eskapaden jenseits jeglichen guten Geschmacks.

Kleiner-Mann-Syndrom

Komet Donati ueber VenedigNichts Großes wird ohne Narzissten vollbracht

Alle Narzissten, selbst jene, die ein bisschen wissenschaftlich angehaucht sind, haben eines gemeinsam: Sie berufen sich auf höhere Instanzen. Auf göttliche Inspiration oder andere namhafte Autoritäten. Auf (angeblich) fundierte wissenschaftliche Erkenntnisse, auf mehr oder weniger solide Erfahrungswerte oder auch einfach auf ihr ganz persönliches Charisma und ihre Berufung. Und sie haben noch eine Gemeinsamkeit:

NeroDer Narziss und die déformation professionnelle

Überall, wo Leistung mit Ruhm und Ehre, Macht und Geld honoriert wird, läuft der Narziss zur Hochform auf. Weniger um der Sache selbst willen, als um mit Glanz und Gloria zu brillieren. Viele Berufe sind für ihn vor allem deswegen so attraktiv, weil sie ihm so mannigfaltige Möglichkeiten bieten, Pluspunkte zu sammeln und somit auf seine ganz persönlichen Kosten zu kommen. Sie werden umso attraktiver, je mehr sie im Ruch von Altruismus stehen. Und bei jedem dieser Berufe stellt sich die Frage: Was war eigentlich zuerst - die Henne oder das Ei? Also:

170px Tutanchamun MaskeNarzissten lieben das Erhabene

Narzissten lieben Berufe mit schönen Fassaden: repräsentative Ornate, weiße Kittel und Nadelstreifenanzüge, prunkvolle Kathedralen mit barockem Interieur und eindrucksvollen Glasfassaden. Kurzum diesen aristokratisch-elitären Flair, mit dem sich die Mächtigen dieser Welt seit Menschengedenken so gerne umgeben. Er hat ein ausgesprochenes Faible für Emporen aller Art, jedenfalls so lange er selbst zu den Erhöhten gehört. Dafür stellt der Narziss gerne einiges hinten an. Zum Beispiel in Ausübung der Profession eines Priesters. Denn dieser erhebt sich über den Rest des gemeinen Volkes, wie es dem Narzissten nun einmal gebührt. Und er ist dabei auch noch von einer ganz besonderen göttlichen Aura umgeben. Ein Kommunikator zwischen Diesseits und Jenseits von Gottes Gnaden.

narzisstischer ChefNarzisstische Berufswahl

Narzisstische Kollegen sind nur schwer zu ertragen. Dies gilt in potenzierter Weise für Narzissten in Chefetagen. Es ist dabei für deren Mitarbeiter meist wenig tröstlich zu wissen, dass echte Narzissten mieses Karma haben. Weil sie komplett unfähig zu uneigennützigem Handeln sind. Es kann zwar durchaus vorkommen, dass Narzissten (vordergründig) uneigennützig handeln. Viel wahrscheinlicher ist es aber, dass sich der Narziss aus pragmatischen Erwägungen erfolgreich die Fassade des selbstlosen Altruisten überstülpt. Denn auch das ist letztlich nur eine besondere Spielart des narzisstischen Gutmenschen - das grandiose Überhelfertum.

Zwickmühle SchachDie narzisstische Zwickmühle

Immer dann, wenn Ungemach droht und der Narziss sich angegriffen oder auch nur unzureichend wertgeschätzt fühlt, manövriert er seine Widersacher in verzwickte Situationen. Wenn er Sie in der Zwickmühle hat, haben Sie die Wahl zwischen Teufel und Beelzebub:

Entweder Sie begeben sich in den Rechtfertigungs-Modus: Sie erklären, dass alles ganz anders gemeint war. Oder Sie wählen den Konflikt-Eskalations-Modus: Sie beharren darauf, dass er Sie missverstanden hat.

Fliege Der Narziss hat immer Recht

Das Ausblenden der Realität, auch Verdrängung genannt, beherrscht niemand so brillant wie der Narziss. Nur er vermag den alten Spruch:

"Mach es wie die Sonnenuhr - zähl‘ die schönen Stunden nur!“

tatsächlich wortwörtlich zu befolgen. Er blendet überhaupt alles aus, was ihm missfällt. Dazu gehören zum Beispiel auch Konflikte. Darunter fällt außerdem im Wesentlichen alles, was an seinem Lack kratzen könnte.

KämpferDer Narziss ist ein gerechter Kämpfer

Der Narziss ist daher in seinen Weltanschauungen außerordentlich flexibel und zudem äußerst geschickt darin, seine wahren Absichten und Ansichten zu verschleiern. Sogar vor sich selbst. Er wählt seinen Standpunkt jeweils nach der Perspektive desjenigen Betrachters, von dem er sich am meisten verspricht. Ansonsten besteht sein Weltbild für gewöhnlich aus einem bunten Strauß der gängigsten Überzeugungen, die gerade in seiner Referenzgruppe angesagt sind. Substanz ist dabei eher hinderlich. Die Wirkung zählt. Wenn ihm zum Beispiel am Wohlwollen eines Tierschützers liegt, wird er mit Verve gegen die Produktion von Gänsestopfleber wettern. Was ihn keineswegs daran hindert, am darauffolgenden Tag gegenüber einem französischen Geschäftskollegen beim gemeinsamen Dinner seine Begeisterung für die köstliche Foie gras kund zu tun.

Street art BerlinDer Narziss hat keine Fehler

Was sein Gefühlsspektrum betrifft ist der Narziss ziemlich farbenblind. Während gewöhnliche Menschen eine große Palette verschiedener emotionaler Facetten unterscheiden können, kann der Narziss nur schwarz oder weiß, gut oder böse, plus oder minus. Minus definiert sich durch seinen Standort, denn er selbst ist natürlich immer im Plus. So lange wir ihm das bestätigen, dürfen wir damit rechnen, von seiner Sonnenseite beschienen zu werden.

Poker

So geht der Narziss mit Fehlern um

Wozu machen wir eigentlich so merkwürdige Dinge wie Selbstdarstellung und Imagepflege? Nun, wir sammeln damit Pluspunkte bei anderen. Das tut uns eben einfach gut. In dem Maße, indem uns andere mögen, steigen nämlich auch die Chancen, dass unsere Bedürfnisse befriedigt werden. So weit, so gut.

PuzzleDas narzisstische Ego-Puzzle

Der Narziss ist ein echtes Chamäleon. Daher kann er die Fassade, die er anderen präsentiert, auch beliebig austauschen. Je nachdem, was gefällt und im aktuellen Kontext gerade angesagt ist. Schließlich dient die Fassade des Narzissten nur dem Zweck: dem Erheischen von Anerkennung. Also bastelt der Narziss die Puzzle-Teilchen seiner bruchstückhaften Persönlichkeit je nach Bedarf zu immer wieder neuen Versionen seiner selbst zusammen - seinen Alter Egos.

TestbildDer Narziss und sein Sendungsbewusstsein

Ein Narziss hat eigentlich gar kein Privatleben. Familienangehörige, Freunde und Arbeitskollegen, die sein Leben mehr oder weniger freiwillig teilen, bedauerlicherweise auch nicht. Das liegt vor allem daran, dass der Narziss nicht gerne einsam vor seinem Spiegel vor sich hin darbt. Grandiose Existenzen brauchen Publikum. Zeitzeugen, Fangemeinden, Jünger und Bewunderer aller Art. Ihr Leben ist ein fortwährendes, großartiges Spektakel mit freiem Eintritt für alle. Sie sind gewissermaßen immer auf Sendung.

BuehneDer Narziss braucht seine Bühne

Der Narziss liebt Öffentliche Auftritte auf Meetings, Messen, Musicals... Es ist im Grunde vollkommen gleichgültig welchen Inhalts. Hauptsache, er kann dort sein selbstgestricktes Ego ausführlich zur Schau stellen. Für seine wohl einstudierten Inszenierungen ist ihm jede Bühne recht. Narzissten sind ja durchaus oft faszinierende Menschen. Die schillerndsten Persönlichkeiten und die schrägsten Vögel - das sind garantiert Narzissten.

SchafherdeDer Narziss als Sinnstifter

Es haben sich zu allen Zeiten genügend fromme Lämmer gefunden, die dem Narzissten brav auf die Schlachtbank gefolgt sind. Während es nämlich die einen nach Macht und Anerkennung gelüstet, gieren die anderen nach Unterwerfung und Schutz, Sicherheit und Geborgenheit, der heilen Welt und dem Sinn des Lebens. Und wer könnte den wohl besser erklären als ein Narziss, der ja sein ganzes Leben damit zubringt, die Unebenheiten der Realität ein wenig zu glätten.

Regeln GeboteDer Narziss liebt Regeln

Aber nur solche, die er selbst erlassen hat. Und solche, die anderen ein für alle Mal klar machen, wie er von ihnen behandelt werden möchte. Regeln, die der Narziss nicht selbst gemacht hat, sind Schall und Rauch. Außer natürlich, der Narziss verspricht sich selbst einen Vorteil davon. Dann wird er nicht scheuen, sie auf der Stelle einzuklagen. Der Narziss liebt nämlich auch all jene Regeln, die ihm in irgendeiner Weise nützen.

Aufgrund seiner Gottähnlichkeit, die ja zwangsläufig aus seiner besonderen Nähe zu Gott (der, wenn es ihn nicht schon geben würde, sofort von ihm persönlich erfunden werden würde) resultiert, ist der Narziss felsenfest von seinem moralischen Anspruch überzeugt:

Tugend MoralDer Narziss und die Moral

Der Narziss ist ein Relikt aus der Urzeit. Auch sein Sinn für Humor ist recht archaisch. Die ursprünglichste Form von Humor ist nun einmal die Schadenfreude: Lustig ist, wenn es andere böse erwischt und nicht mich selbst. Davon zeugt noch heute Volkes Stimme in den ländlichen Regionen im Norden Bayerns. Dort gibt es ein über Jahrhunderte bewährtes Stoßgebet angesichts eines herannahenden Gewitters:

LebenselixierDas narzisstische Lebenselixier

Dreh- und Angelpunkt der Existenz des Narzissten sind seine Bedürfnisse. Ihre Befriedigung ist sein Lebenselixier. Versiegt dieser Quell, erleidet der Narziss seelische Durstqualen. Die können durchaus tödlich sein: er verdurstet gewissermaßen tatsächlich. Zumindest aber führt der Verlust zum unmittelbaren Verfall seiner Gesundheit.

Unverrückbare Naturgesetze

MogliÜberleben im Dschungel

Es wäre ziemlich gemein und nur allzu billig, zu behaupten, dass der Narziss ein direkter Nachfahre des Affen sei. Das ist natürlich nicht der Fall. Es ist nur so, dass er im Säuglingsalter entweder mit Affenliebe erstickt wurde oder aber einsam wie Mogli im Dschungel der Zivilisation herangewachsen ist. Er hat infolgedessen genau genommen einfach nur ein paar Entwicklungsschritte verpasst.

PapstVom Saulus zum Paulus

Wenn der Narziss dann schließlich an die Macht gelangt ist, ganz gleich ob mit oder gegen den Strom, ist für ihn letztlich nur noch eine Frage von Interesse: Wie werde ich mit solchen unbequemen Außenseitern fertig, wie ich selbst einmal einer war? Heutzutage ist es ja eher verpönt ist, politische Gegner oder Kritiker einfach zu meucheln. Daher hat sich im Lauf der Geschichte ein anderes Model bewährt: Der so genannte Wärmetod, auch als Tod durch Umarmung bekannt. Der Narziss gewährt seinen Feinden generös Einlass in sein Heiligtum und macht sie im Handumdrehen zu Konvertiten. Wenn sie ehrgeizig sind, mutieren sie innerhalb kürzester Zeit vom Saulus zum Paulus und werden schließlich katholischer als der Papst.

RebellenRevolutionäre, Rebellen und sonstige Randgruppen

Allen Narzissten, so unterschiedlich sie in Erscheinung treten mögen, ist ein Wesenszug gemeinsam: Sie ringen fortwährend um Anerkennung. Die Angepassten unter ihnen nach der Anerkennung derer, die gerade mächtig und wichtig, sind. Die Trotzigen nach der Anerkennung von Revolutionären, Rebellen und sonstigen aufmümpfigen Randgruppen. Trifft es sich da nicht ganz besonders nett, wenn diese sich dann auch noch Trotzkisten nennen?

Trotzige Narzissten jedenfalls widersetzen sich grundsätzlich allem, was auch nur im Entferntesten im Ruch der allgemein anerkannten Autorität steht, also dem gesamten Establishment und überhaupt allen Anzug- und Perlenkettenträgern, jedenfalls bis sie selbst dazu gehören. Sie sympathisieren dafür umso wahlloser mit sämtlichen gesellschaftlichen Gegenbewegungen und allen Unterdrückten, Erniedrigten oder Beleidigten.

Ernst Haeckel Natürliche Schöpfungsgeschichte 1868Der Narziss und die Rituale der Macht

Es ist im Grunde kompletter Nonsens, wenn heute immer noch behauptet wird, die Staaten hätten sich erst mit der Antike herausgebildet. Nein, das stimmt so nicht, denn die Primaten hatten bereits eine ziemlich komplexe Politik. Genau genommen ist es dabei im Wesentlichen bis heute geblieben. Weil nämlich ein mehr an Komplexität dem archaisch gestrickten Gehirn des Narzissten einfach nicht zuzumuten ist.

Auch an den Ritualen der Macht hat sich im Prinzip wenig geändert. Das große Tabu kaschiert immer noch die hässlichen kleinen Machtspielchen hinter den Kulissen der Zivilisation. Im Zentrum der Macht herrscht zwar Tohuwabohu, aber egal. Hauptsache, die Fassade stimmt. Also tun wir einfach mal weiter so, als ob, weil alles andere könnte ja das System gefährden und wir haben gerade kein besseres. Was vermutlich vor allem daran liegt, dass es aus Menschen besteht.

Hieronymus Bosch Das juengste GerichtZivilisation: Am Anfang war der Narziss

Wir Menschen tun im Allgemeinen gerne so, als wäre der Homo sapiens höher entwickelt als beispielsweise Affen und alle anderen Primaten-Verwandten. Und natürlich überhaupt sehr viel höher als alle anderen Säuger. Das ist jedoch bedauerlicherweise nicht der Fall. Wenn nämlich irgendetwas tatsächlich sehr viel komplexer geworden ist, dann das wirkliche Leben da draußen. Der Mensch selbst eigentlich eher nicht.

Affe ChefNarzisstische Strategien: Das Ape-Management

Wir sprechen hier von jener fernen Zeit, als sich der Oberaffe noch auf die Brust trommelte, die Zähne fletschte und lauthals schnatterte, um bei seiner Affenherde Eindruck zu schinden. Damals, als die Rangniedrigeren schon schlau genug waren, Subordination zu mimen, während sie gleichzeitig jede Gelegenheit nutzten, um am Chefsessel zu sägen. Das liegt Alpha-Tierchen offenbar in den Genen.

Der Anführer bestieg die attraktivsten Weibchen, die das meist auch recht willig geschehen ließen, weil sie so ihre Position im Rudel verbessern oder festigen konnten.

Gottkönig Pharao TutanchamunGott ist ein Narziss - ein Exkurs in die Geschichte

Früher, also beispielsweise damals im alten Ägypten, war der Pharao der oberste Narziss. Der Pharao war weltlicher Herrscher und Gott zugleich. Damals war alles noch recht einfach. Insubordination war während der Regentschaft absoluter Herrscher schlicht tödlich. Deswegen gab es zu diesen Zeiten auch keine Kritiker. Bereits der leiseste Verdacht auf einen Hauch von Meinungsverschiedenheit hätte die Schergen des Narzissten auf den Plan gerufen. Deren Auftrag war unmissverständlich: Schaffe dem Gottkaiser eventuelle Mitbewerber um die Macht vom Hals. Eine bis zum heutigen Tage sehr bewährte Methode.

Ein wenig später, also ungefähr im Mittelalter, wurde es bereits sehr viel komplizierter, weil sowohl Kaiser als auch Papst um das Amt des obersten Narzissten konkurrierten. Und heute ist das globale Hauen und Stechen zwischen den eitlen Tröpfen, welche die Geschicke unserer Welt lenken, beinahe unüberschaubar.

320px Graz Opernhaus Zuschauerraum Blick zur BühneDer Narziss braucht das Rampenlicht

Es liegt nun einmal in der Natur von Insignien der Macht und anderen Statussymbolen, dass sie den Status nur dann nach außen sichtbar machen, wenn sie auch gesehen werden. Während gewöhnliche Sterbliche Anzug und Perlenkette zu Hause gerne ablegen, verschmilzt der Narziss so stark mit den Dingen, die ihm in der Außenwelt Geltung verschaffen, dass er in einer Woge von Banalität zu ertrinken droht, wenn ihm seine Fassade abhanden kommt.

Statussymbole Mercedes Benz Narzisstische Strategien: Das Impressions-Management

Irgendwann im Laufe der Geschichte erkannte der Narziss, dass er all das, was er (noch) nicht erreicht hat, auch durch geeignete Statussymbole ersetzen kann. Reichtum und Erfolg zum Beispiel durch ein großes Auto, fette Uhren oder dicke Brillantringe. Macht und Ansehen durch hochrangige Ämter, bedeutende Funktionen und aufdringliches Name dropping. Intelligenz, Bildung und Kultiviertheit durch wohlklingende akademische und/oder aristokratische Titel. Oft genügt es beispielsweise schon, einen Titelträger zu ehelichen, um fortan als „Frau Doktor“ geadelt zu werden. Außerdem kommt es gar nicht so selten vor, dass Adel adoptiert, um das blaue Blut mit Geld anzureichern. Dann ist die Mesalliance ohnehin perfekt.