Vom Saulus zum Paulus
Wenn der Narziss dann schließlich an die Macht gelangt ist, ganz gleich ob mit oder gegen den Strom, ist für ihn letztlich nur noch eine Frage von Interesse: Wie werde ich mit solchen unbequemen Außenseitern fertig, wie ich selbst einmal einer war? Heutzutage ist es ja eher verpönt ist, politische Gegner oder Kritiker einfach zu meucheln. Daher hat sich im Lauf der Geschichte ein anderes Model bewährt: Der so genannte Wärmetod, auch als Tod durch Umarmung bekannt. Der Narziss gewährt seinen Feinden generös Einlass in sein Heiligtum und macht sie im Handumdrehen zu Konvertiten. Wenn sie ehrgeizig sind, mutieren sie innerhalb kürzester Zeit vom Saulus zum Paulus und werden schließlich katholischer als der Papst.
Gib dem Narzissten Macht und er wird sie missbrauchen
Der Narziss folgt generell einer äußerst prosaischen Logik: Gib ihm Macht und er wird sie missbrauchen. Romantisches Gedankengut wie Idealismus kommt in seiner überaus pragmatischen Vorstellungswelt nicht vor. Höchstens vielleicht als Kampfbegriff. Wenn er es im Rahmen seiner Strategie für sinnvoll erachtet, kann er natürlich absolut überzeugend so tun, als ob er ein großer Idealist wäre. Aber wenn er erst einmal an der Macht ist, tut er nicht einmal mehr so als ob. Der Narziss selbst findet das irgendwie ehrlicher. Das ist es ja in gewisser Weise auch. Für ihn ist es wirklich ganz und gar nicht nachvollziehbar, dass andere eventuell nicht so Nutzenorientiert denken könnten wie er selbst. Es ist aber nun nicht etwa so, dass der Narziss den Glauben an das Gute verloren hätte. Er hat ihn nur noch nie besessen. „Gut“ ist für ihn einfach nur ein anderes Wort für „Nutzen“. Was auch daran liegt, dass er abstrakte Dinge grundsätzlich nicht leiden kann. Liebe zum Beispiel. Wo ist denn da bitte der unmittelbare Nutzen?
Der Rest der Menschheit ist im Grunde sowieso ganz überwiegend damit beschäftigt, nicht unter die Räder zu kommen. Er tendiert daher meistens eher zur Konservierung der bestehenden Verhältnisse. Schon deswegen, weil er ganz große Angst davor hat, dass dem Narzissten etwas Neues einfallen könnte. Sofern er nicht naiv genug ist, noch daran zu glauben, dass es die da oben in seinem Sinne richten werden.