Bella Italia - Urlaub anno dazumal
Mit dem deutschen Wirtschaftswunder in den 50er Jahren begann auch der Massentourismus. 1958 reisten bereits 3,5 Millionen Bundesbürger gen Süden. Die ersten Blechlawinen rollten noch über abenteuerliche Alpenpässe und schlecht ausgebaute Schotterpisten nach Bella Italia. Mit der NSU Prinz, einem Fiat 500 oder dem guten alten Käfer.
Der Reise-Ausstattung waren enge Grenzen gesetzt. Das lag schon am fahrbaren Untersatz: In der Kofferraum-Vertiefung des VW Käfers konnte passgenau ein Camping-Tisch versenkt werden. Auch Klapp-Stühle, ein Zelt, Kocher und Geschirr fanden darin Platz, der Koffer und vielleicht noch ein bisschen Reiseproviant. Zu essen gab es ohnehin genug im schönen Italien. Die Italiener versüßten den Deutschen das dolce vita am beliebten Urlaubsziel nach Kräften: Sie gaben jede Menge Benzingutscheine an die Teutonen aus. Wer clever genug war, konnte damit sogar die ganze Reise finanzieren. Indem er eine umständliche Phantasie-Reiseroute beantragte und die überflüssigen Gutscheine einfach an die heimische Bevölkerung weiter verkaufte.
Wer braucht schon Luxus?
Man buchte ein Fremdenzimmer. Natürlich ohne Klo und fließend Wasser. Oder man campierte im Freien - jede Menge Nervenkitzel inklusive. Einwandige Zeltplanen sorgten für hautnahe Naturerlebnisse. Nicht selten flog einem die Behausung nachts bei Sturm und Regen um die Ohren. Man hüllte sich notdürftig in alle Bekleidungsstücke, die vom Regen einigermaßen verschont geblieben waren, bibberte im engen Fahrzeug oder an einem halbwegs trockenen Plätzchen klamm vor sich hin bis in die frühen Morgenstunden und wartete sehnsüchtig auf die ersten wärmenden Sonnenstrahlen. Dann allerdings schmeckte der Nescafé vom Gaskocher doppelt gut und ein Tag voller neuer Abenteuer konnte beginnen. Der begann meist schon mit dem Besuch der sanitären Anlagen.
Noch mehr Abenteuer: wild campen am Strand
Abenteuerliche Campingplatz-Duschen – aus Sicht von Wild Campern schlagartig purer Luxus. So viel Abenteuerlust führte am Meer regelmäßig dazu, dass schon nach wenigen Stunden ausnahmslos alles mit einer feinen, klebrigen und äußerst hartnäckigen Salzkruste behaftet war. Strand-Duschen gab es damals nicht. Einzige Lösung: Duschen an einem nahe gelegenen Camping-Platz.
Also die Camping-Ausrüstung wieder mühevoll im Wagen verstauen und die aufdringlich bettelnden, streunenden Hunde abschütteln. Dann machte man sich auf den Weg. Nur um festzustellen, dass die Reifen in einer Sanddüne festsaßen. Die war am Tag zuvor in der Dämmerung noch als harmlose Staubpiste durchgegangen. Aber einige Unverbesserliche waren sicher dem eigenen schlechten Beispiel gefolgt und saßen ebenfalls fest. Auch sie waren, geplagt von Millionen Stechmücken, erst früh am morgen und dank reichlich Lambrusco in komatösen Schlaf gefallen und wurden nun durch das laute Heulen des vergeblich gegen den Sand ankämpfenden Motors unsanft geweckt. Aber gegenseitiges Anschieben verbindet.
Urlaubs-Romantik deutlich überbewertet
Der Reiseproviant wurde meist schon auf dem Weg in den Urlaub verspeist. Beim vergnüglichen Picknick in winzigen Parkbuchten vor beschaulichen Sehenswürdigkeiten in der sengenden Sonne des Südens. Ohne Klimaanlage im Auto. Die heute so viel beschworene Romantik früherer Camping-Urlaube ist schlicht ein Mythos aus dem Reich der Legenden. Sie endete allerspätestens aber mit dem allabendlich beim Sonnenuntergang heranziehenden Mückengeschwader am Comer See. Man konnte den Teufel nur mit dem Beelzebub austreiben - Mitteln zur Insektenabwehr namhafter Hersteller, die durch ihre widerwärtige Geruchsmischung bestachen. Wie haben wir das nur alles ausgehalten?
Burgen, Schlösser und Dias in Endlosschleife
Frei nach Goethes Motto „Die beste Bildung findet ein gescheiter Mensch auf Reisen“ war Urlaub für die allermeisten Deutschen von jeher eng mit Bildung verquickt. Man ließ unterwegs keine Burg und kein noch so kleines Kirchlein aus, malträtierte den Nachwuchs mit detaillierten Vorträgen zu romanischen Rundbögen und den typischen architektonischen Zierformen der Gotik. Anschließend wurde die Familie vor der betreffenden Sehenswürdigkeit mit der Agfa Automatik akribisch abgelichtet. Das war quasi der Vorgänger der Selfies. Vorrang als Fotomotiv hatte nur der ganze Stolz und das Statussymbol von Familienvätern aller Epochen - das Automobil. Es wurde wieder und wieder wirkungsvoll vor den spektakulärsten Kulissen in Szene gesetzt. Auf jeden Urlaub folgten die obligatorischen und so überaus prickelnden Dia-Abende, in aller Regel vom Familien-Oberhaupt persönlich durchgeführt.
Der Weg war das Ziel
Von 1964 an bot Neckermann, später NUR wie „Neckermann und Reisen GmbH & Co. KG“, seinen Kunden das pauschale Rundum-Reiseprogramm. Von da an ging es ganz langsam bergab mit der Reisekultur. Neckermann richtete eine Art Pendel-Verkehr zum Ballermann ein und meldete kurz darauf Insolvenz an. Im Grunde reisen wir nicht mehr. Wir sind schon da. Denn die Reise - das war einst der Weg, den man zurücklegt, um zu einem bestimmten Ziel zu gelangen und zurück. Heute legen wir keine Wege mehr zurück. Wir buchen ein Programm und sind im Handumdrehen am Ziel. Standardisiert nach Sternen und mit allem Komfort ausgestattet, den wir von zu Hause gewohnt sind. Plus einigem an Luxus wie Sonne, Meer, Zimmerservice und kulinarischer Rundumversorgung. Selbst Abenteuer-Reisen sind heutzutage so perfekt durchorganisiert, dass der Teilnehmer garantiert vor jedem echten Abenteuer gefeit ist. So, dass man sich so manches Mal wehmütig die immer etwas desorganisierten und deswegen auch meistens ziemlich abenteuerlichen Reisen von anno dazumal zurückwünschen möchte…