Menschen_mit_Down-Syndrom

Segregation statt Integration?

Nur einer verschwindend kleinen „Behindertenelite“ gelingt es, die Gunst des Publikums zu erobern. Das sind stets liebenswerte und freundlich lächelnde Menschen mit Down-Syndrom, die den Koffer mit Lotto-Millionen überbringen und dafür von den Lottogewinnern – ganz „normalen“ Menschen übrigens - enthusiastisch umarmt werden. Oder Menschen im Rollstuhl, die es zu fast übermenschlichen sportlichen Leistungen gebracht haben.

Sonderbehandlung ist Segregation

Solange eine Gesellschaft von der Notwendigkeit der Integration spricht und sie nicht lebt, gilt in der Realität das Prinzip der Segregation. Ein Mensch mit Down-Syndrom aber ohne Lotto-Million dürfte wohl kaum damit rechnen, von Fremden so herzlich aufgenommen zu werden. Menschen mit Behinderung leben noch immer am Rande dieser Gesellschaft. Sie erfahren häufig eine entmündigende und entwürdigende Sonderbehandlung. Besondere Menschen werden von denen, die sie verwalten, gerne mit besonderen Kennzeichen versehen. Menschen mit Behinderung erhalten sogar einen eigenen Ausweis. Der berechtigt sie allerdings nur bei wirklich hohen Graden an Behinderung zu irgend etwas, zum Beispiel zum Parken. Ansonsten rechtfertigt er nur eine Sonderbehandlung und leistet so der Segregation Vorschub.

Jenseits der Gesellschaft

Beim Arbeitsamt werden Menschen mit Behinderung – unabhängig von der Art der Behinderung oder der Ausbildung – abgesondert vom Rest der Klientel verwaltet. Bei der Pflegeversicherung wird aus Rationalisierungsgründen die „Zeit für Zuwendung“ aus dem Pflegesatz gekürzt und auch ansonsten bildet die bürokratische Verwahrung und Verwaltung in „besonderen“ Einrichtungen von der Wiege bis zur Bahre keine Ausnahme sondern die Regel. Dort bleiben Menschen mit Behinderung unter sich – und jenseits der Gesellschaft. Wenn sie dann einen kleinen Ausflug in die Welt der Menschen ohne Behinderung unternehmen, werden sie von diesen wie eine seltsame und fremde Spezies bestaunt und begafft.

Offene Diskriminierung weicht Bereitschaft zur Integration

Was also hat sich geändert in den letzten 100 Jahren? Die menschenverachtende Zurschaustellung ist einem verhaltenen Voyeurismus gewichen. Offene Diskriminierung müssen Menschen mit Behinderung kaum noch fürchten. Sie genießen gesetzlich verbriefte Rechte, vor allem das auf Menschenwürde. Abstrakte Toleranz und das Wissen über die Ursachen der Behinderung haben zugenommen. Das Ziel der Integration ist nicht verwirklicht, doch eine „integrative Bereitschaft“ in der Gesellschaft ist vorhanden.

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