Kaspar Hauser - ein ungelöstes Rätsel
Die Geschichte des Kaspar Hauser bleibt bis heute geheimnisvoll und rätselhaft: Am Nachmittag des 26. Mai 1828 wird der damals vielleicht 15-Jährige zum ersten Mal gesehen. In Nürnberg, von zwei Schuhmachern, die an diesem sonnigen Pfingstmontag ihren Feiertagsplausch in der Nähe des Unschlittplatzes hielten. Noch am gleichen Tag spricht der Junge beim Rittmeister von Wessenig in der Irrerstraße vor. Der kann jedoch mit dem wundersamen Knaben wenig anfangen und lässt ihn zur Polizeiwache bringen. Aber auch dort war aus dem Kaspar nicht viel herauszubringen. Also beschloss man, ihn vorerst in eine Arrestzelle im Turm Luginsland zu sperren.
Wilde Räuberpistolen...
So nach und nach gelang es, dem Kind ein paar Worte zu entlocken: Als kleines Kind schon will er eingesperrt gewesen sein und dann, bis vor wenigen Tagen, mit keiner Menschenseele zu tun gehabt haben. Sein Käfig sei so beschaffen gewesen, dass er sich nicht einmal aufrichten konnte. Er habe "keinen Strahl der Sonne, keinen Schimmer des Mondes", ja überhaupt kein Licht gesehen. Auch Bildung will Kaspar nach eigenem Bekunden nie erhalten haben. Seine einzige Betätigung sei das immer gleiche Spiel mit zwei Holzpferden gewesen. Denen habe er Bänder angelegt.
Kaspar soll damals kaum 50 Worte gesprochen haben. Wie diese Aussagen zustande kamen, oder was ihm so gründlich die Sprache verschlagen hat, erfahren wir allerdings nicht. Wurden ihm die eigentümlichen Geschichten gar vom Polizeimeister selbst in den Mund gelegt?
Der Jurist Anselm von Feuerbach war zu jener Zeit Präsident des für Nürnberg zuständigen Appelationsgerichtes in Ansbach. Er setzte sich sehr für den Kaspar ein und konstatierte, die Polizeiakten enthielten "so viele Widersprüche, nehmen vieles gar zu leicht, sind in einem ihrer wesentlichen Bestandteile ein so arger Anachronismus, dass sie als Geschichtsquelle nur mit großer Vorsicht benutzt werden können."
Das Kaspar-Hauser-Syndrom
Auch die Angaben über seinen Gesundheitszustand sind voller Widersprüche: Den einen machte er sowohl in Bezug auf die Gesichtsfarbe, als auch auf die körperliche und geistige Konstitution einen sehr gesunden Eindruck. Auf andere wirkte er verstört, schwächlich und blass. Eine gerichtsärztliche Untersuchung lag bereits am 3. Juni 1828 vor und besagte, „dass dieser Mensch weder verrückt noch blödsinnig sei." Das käme bei einer derart gravierenden Vorgeschichte fast einem Wunder gleich. Selbst bei robuster Grundkonstitution hätte der Junge deutliche Symptome des später nach ihm benannten "Kaspar-Hauser-Syndroms" aufweisen müssen.
Das Kind Europas
Wir befinden uns im Zeitalter der Spätromantik. Übersinnliches und Wundersames kursiert in den Salons Europas. Die Kunde vom „Wilden, der in einem Loch gefangengehalten worden war" verbreitete sich rasend schnell in Nürnberg, in Europa und sogar in Amerika, vor allem dank einer öffentlichen Bekanntmachung des damaligen Nürnberger Bürgermeisters Binder über das „Kind Europas" vom 7.Juli 1828.
Anselm von Feuerbach war das Verhalten Binders gar nicht recht, weil er glaubte, dass die Ermittlungen dadurch gestört wurden. Und tatsächlich begann kurz darauf ein gewaltiger Ansturm auf das kleine Turmzimmer. Jeder wollte den Exoten gesehen haben. Kaspar Hauser war die Sensation schlechthin. Man behandelte ihn wie ein Wundertier im Käfig, unterzog ihn kleinen Tests und prüfte sein außergewöhnliches Gedächtnis, denn der vermeintliche Wilde hatte die Fähigkeit sich jede Person mit Vornamen, Nachnamen und Titel sofort zu merken.
Zweifel an der Mär vom „Wilden“
Besonders entzückt waren die Besucher von Kaspars großem Talent fürs Malen und Zeichnen. Zudem begann das ungebildete Kind fünf Monate nach seiner Ankunft in sehr passablem Stil seine Biografie zu schreiben. Der erste Teil der Reinfassung liegt im Oktober 1829 vor, als etwa eineinhalb Jahre nach seinem Erscheinen. In einer Zeit, in der die überwiegende Zahl des Volkes weder Schreiben noch Lesen konnte und Bildung ohnehin nur höheren gesellschaftlichen Schichten zuteil wurde. Um das 18. Jh. war schon die Signierfähigkeit eher die Ausnahme. Die meisten Menschen setzten gerade mal ihre drei Kreuzchen unter die Urkunden. Kaspar Hauser dagegen unterschrieb schon beim ersten Verhör mit Vor- und Zunamen.
Betrogen um seine Identität und sein Leben
Kaspars künstlerisches Schaffen wäre undenkbar ohne entsprechende Vorerfahrungen, ohne Ausbildung seiner feinmotorischen Fähigkeiten, ja überhaupt ohne jegliche Erziehung und Bildung. Man darf ohne weiteres unterstellen, dass er ein geübter Zeichner war, der verschiedene Techniken versiert beherrschte. Und zwar bereits, bevor er in Nürnberg aufschlug. Kaspar, das steht außer Frage, muss zumindest über einen gewissen Zeitraum kontinuierliche Förderung erhalten haben, oder wie Werner Bürger, der ehemalige Stadt-Archivar von Ansbach, feststellt: "Wir gehen heute davon aus, dass Hauser Phasen der Sozialisation durchlebt hat." Das Markgrafen-Museum zeichnet die Geschichte Hausers in ihrer ganzen Zwiespältigkeit und Widersprüchlichkeit nach. Vielleicht, so der einstige Leiter des Museums, sei er ja kurz vor seinem Eintreffen in Nürnberg eine Zeit lang eingesperrt gewesen.
Am 17.12.1833 wurde Kaspar Hauser in Ansbach ermordet. Bürger sagt: "Er war ein Kind, das um seine Identität und um sein Leben betrogen wurde". Auf seinem Grabstein steht geschrieben:
„Hier liegt Kaspar Hauser, das Rätsel seiner Zeit; unbekannter Herkunft und dunklen Todes.“
Das ist das Schicksal des Kaspar Hauser bis heute geblieben. Wir wissen nicht, wer er war. Wir wissen kaum etwas Bestimmtes über sein Leben. Er ist nicht nur seiner Zeit ein Rätsel geblieben, sondern wird uns immer wieder neue Rätsel aufgeben.