NeroDer Narziss und die déformation professionnelle

Überall, wo Leistung mit Ruhm und Ehre, Macht und Geld honoriert wird, läuft der Narziss zur Hochform auf. Weniger um der Sache selbst willen, als um mit Glanz und Gloria zu brillieren. Viele Berufe sind für ihn vor allem deswegen so attraktiv, weil sie ihm so mannigfaltige Möglichkeiten bieten, Pluspunkte zu sammeln und somit auf seine ganz persönlichen Kosten zu kommen. Sie werden umso attraktiver, je mehr sie im Ruch von Altruismus stehen. Und bei jedem dieser Berufe stellt sich die Frage: Was war eigentlich zuerst - die Henne oder das Ei? Also:

Haben die Narzissten den Job erfunden, weil sie mächtig und wichtig sein wollten oder war er deswegen so attraktiv, weil die Funktion einfach irgendwie notwendig für das Zusammenleben von Menschen war und ihre Ausübung Macht und Bedeutung verhieß?

Deformierter oder Deformator?

Wie dem auch sei. Auch wir kennen die Antwort nicht. Die Deformation wird jedenfalls meistens schon in die Profession mitgebracht und ist die Profession selbst erst einmal deformiert, wird sie fürderhin umso attraktiver für Narzissten. Wie es der Zufall will handelt sich bei vielen dieser Berufe um solche, die einen beträchtlichen Spielraum für Interpretationen zulassen. Wie zum Beispiel all jene, die sich mit höheren geistigen Sphären befassen. Diese entziehen sich eben nun einmal der wissenschaftlichen Analyse und sei es auch nur in ihren Teilbereichen. Also praktisch alle, die den Menschen betreffen. Außerdem sind ja auch die Wissenschaften ihrer Natur nach ziemlich relativ.

Aber einige Metiers sind eben besonders ganz relativ und damit für den Narzissten umso attraktiver: Seelsorge, Pädagogik, Therapie und Medizin zum Beispiel. Sowie all jene Berufe, die über die Spielregeln des Zusammenlebens entscheiden oder qua Profession sozusagen darüber erhaben sind wie Politiker, Richter, Anwälte und Professoren. Und ganz speziell natürlich diejenigen, die sich sowohl den allgemein üblichen Spielregeln als auch der Wissenschaft vollständig entziehen wie zum Beispiel Künstler, selbst ernannte Gurus, Propheten und Wunderwirkende jeglicher Couleur.