TestbildDer Narziss und sein Sendungsbewusstsein

Ein Narziss hat eigentlich gar kein Privatleben. Familienangehörige, Freunde und Arbeitskollegen, die sein Leben mehr oder weniger freiwillig teilen, bedauerlicherweise auch nicht. Das liegt vor allem daran, dass der Narziss nicht gerne einsam vor seinem Spiegel vor sich hin darbt. Grandiose Existenzen brauchen Publikum. Zeitzeugen, Fangemeinden, Jünger und Bewunderer aller Art. Ihr Leben ist ein fortwährendes, großartiges Spektakel mit freiem Eintritt für alle. Sie sind gewissermaßen immer auf Sendung.

Der Narziss ist ein Berufener mit großem Sendungsbewusstsein. Er ist deswegen häufig als Berufsnarziss in all jenen Tätigkeitsfeldern anzutreffen, die sich um die großen Bühnen dieser Welt herum drehen. So ein Leben ist nun einmal harte Arbeit. Denn der Narziss muss, weil er so sehr von der Anerkennung seiner Bewunderer abhängig ist (was er aber selbstverständlich niemals zugeben würde) in Sachen Selbstdarstellung immer neue und immer großartigere Kaliber auffahren, damit der Quell dieser Anerkennung auch weiterhin ergiebig sprudelt.

Leider verpasst er dabei meistens den Punkt, an dem es richtig peinlich wird. Zum Beispiel dann, wenn er seinen Zenit bereits weit überschritten hat und ihn schon längst keiner mehr so richtig ernst nimmt. Denn während gewöhnliche Menschen von natürlichen Verfallsprozessen nicht verschont bleiben, wird der Narziss von Jahr zu Jahr jünger.

The Show must go on

Nun liegt es ja in der Natur des Menschen, dass er einen guten Eindruck bei anderen hinterlassen möchte. Der Narziss allerdings ist darin geradezu ein Naturtalent. Um anderen konstantes Interesse zu entlocken, poliert er sein Image so lange, bis es seinem Idealbild entspricht. Dann präsentiert er uns so eine Art virtuelle Version von sich selbst – einen Avatar. Dieser ist für gewöhnlich all das, was der Narziss nicht ist (und auch niemals sein wird). Er kann alles, was der Narziss nicht kann (und auch niemals können wird). Der Narziss inszeniert diese Legende jedoch derart überzeugend, dass er schließlich selbst daran glaubt. Selbst wenn die Selbstdarstellung des Narzissten nach außen hin aufgrund ihrer eigentümlich verqueren Struktur die eine oder andere Sollbruchstelle aufweist, kann sie tatsächlich über weite Strecken den Eindruck einer erfolgreichen und selbstbewussten Persönlichkeit vermitteln.