Der Narziss und seine Bedürfnisse
Der Narzissten findet es tröstlich zu wissen, dass der kosmische Maßstab das einzige ist, was bei allen Widrigkeiten da draußen wirklich zählt. Das Alltägliche, das wirkliche Leben, die lästigen Routine der kleinen Menschenwelt - diese Dinge sind nicht nur vollkommen ohne Bedeutung, sondern meistens sogar einfach nur hinderlich. Weil sie vom Wesentlichen ablenken. Denn unter dem Strich zählt nur eines:
Der Narziss ist ein Wohltäter der Menschheit und verdient daher eine einzigartige Behandlung!
Aber was ist denn nun die eigentliche Mission des Narzissten in der Welt? Hinter all dem Gedöns? Nun, er möchte sich einfach nur dauernd und immer wieder vergewissern, dass das Bild, das er sich in jahrelanger Kleinarbeit von sich selbst gebastelt hat, auch wirklich stimmt. Dazu braucht er Menschen, die ihm fortwährend bestätigen, was er im Grunde ohnehin weiß:
"Ich bin wichtig, mächtig und toll und außerdem sehr besonders!“
Ich bin wichtig!
Der Narziss behauptet immer wieder gerne im Brustton der Überzeugung von sich, dass er wie ein ganz gewöhnlicher Mensch behandelt werden möchte. Wenn das allerdings tatsächlich der Fall ist, bereitet es ihm ganz außerordentliches Unbehagen. In Wirklichkeit geht er nämlich vollkommen selbstverständlich davon aus, dass ihm aufgrund seiner Besonderheit eine einzigartige Behandlung und gewisse Sonderrechte zustehen. Er legt daher auch großen Wert darauf, nur von handverlesenen Spitzenexperten beraten, betreut, behandelt und bedient zu werden. Und zwar persönlich. Ganz gleich, ob Produzent, Rechtsanwalt, Arzt, Chefkoch oder Papst.
Sollte ihn sein Gegenüber enttäuschen oder frustrieren (was für gewöhnlich nicht von dessen Kompetenz oder der Qualität der Leistung abhängt, sondern von Tagesform und Laune des Narzissten) wird der (vermeintliche) Experte, den er soeben noch als Halbgott verehrt hat, ohne großes Federlesen von seinem Podest gestoßen und verliert seinen Ruf im freien Fall.