Der Narziss ist ein gerechter Kämpfer
Der Narziss ist daher in seinen Weltanschauungen außerordentlich flexibel und zudem äußerst geschickt darin, seine wahren Absichten und Ansichten zu verschleiern. Sogar vor sich selbst. Er wählt seinen Standpunkt jeweils nach der Perspektive desjenigen Betrachters, von dem er sich am meisten verspricht. Ansonsten besteht sein Weltbild für gewöhnlich aus einem bunten Strauß der gängigsten Überzeugungen, die gerade in seiner Referenzgruppe angesagt sind. Substanz ist dabei eher hinderlich. Die Wirkung zählt. Wenn ihm zum Beispiel am Wohlwollen eines Tierschützers liegt, wird er mit Verve gegen die Produktion von Gänsestopfleber wettern. Was ihn keineswegs daran hindert, am darauffolgenden Tag gegenüber einem französischen Geschäftskollegen beim gemeinsamen Dinner seine Begeisterung für die köstliche Foie gras kund zu tun.
Alles ist relativ
Wenn er von etwas überzeugt ist, dann total. Und wenn er fünf Minuten später vom genauen Gegenteil überzeugt ist, dann absolut maximal. Der Narziss ist ein gerechter Kämpfer für die Sache. Für welche auch immer. Ein durch und durch fanatischer Bratwurst-Vegetarier. Aber wenn es gerade opportun ist, konvertiert er eben widerstandslos zur gegnerischen Partei. Je nachdem, was seinem Seelenheil gerade zuträglicher erscheint. Das Christentum ist schön und gut, aber 72 Jungfrauen sind schließlich auch nicht zu verachten.
Beim Thema Stopfleber mag man vielleicht noch geneigt sein, das als nette Marotte abzutun. Wirklich spannend wird es erst bei einem umgedrehten Doppelagenten mit einer Atombombe im Handgepäck. Aber egal, in welcher Zwickmühle er sich auch befindet, irgendwie schafft er es meistens, sich da wieder heraus zu winden und am Schluss sogar Recht zu behalten. Schon weil er den Endsieg so hartnäckig verfolgt, dass alle anderen unterwegs längst die weiße Fahne gehisst haben und kurz vor dem Ziellauf erschöpft zusammen brechen. Deswegen hat er auch das Potential, als Held in die Geschichte einzugehen.