Narzissten - gemeinsame Merkmale
Es gibt gewisse gemeinsame Merkmale, die bei allen Narzissten gleichermaßen anzutreffen sind: Man erkennt sie für gewöhnlich an ihrem hungrigen Blick, der suchend umherschweift. In ihren Augen blitzt nicht einmal sehr verstohlen, sondern ziemlich unverholen die Gier der Jäger. Sie nehmen Witterung auf, scharren unruhig mit den Pfoten. Sie lauern ihrer Beute auf und umkreisen sie, bereit zum Sprung.
Aber natürlich hat so ein waschechter Narziss immer noch ein paar Register mehr in seinem Repertoire: Es gibt ihn nämlich auch in der Version des Wolfes im Schafspelz. Keiner mimt besser das hilflose Opfer. Niemand blinkert Dich so überzeugend mit großen, unschuldsvollen Augen an und bettelt flehentlich um Zuwendung. Und damit sind wir eigentlich schon mitten drin in unserer Abhandlung über das widersprüchlichste, zugleich aber auch simpelste aller menschenähnlichen Geschöpfe auf Erden. Das liegt vor allem daran, dass der Narziss einfach überirdisch ist. Oder unterirdisch. Je nach Standpunkt.
Seine Bedürftigkeit ist echt. Echt und unstillbar.
Es ist im Grunde ziemlich einfach, einen echten Narziss zu erkennen: Er tut sich durch eine Selbstdarstellung hervor, die man schlicht nur als absolut grandios bezeichnen kann. Er tarnt damit mehr oder weniger geschickt seine innere Zerrissenheit (auch vor sich selbst). Denn in Wirklichkeit fühlt er sich (irgendwo ganz innen drin) winzig klein und ziemlich wertlos. Genau genommen ganz furchtbar schrecklich wertlos. Was er aber, wäre er sich dessen bewusst, nie im Leben zugeben würde. Am allerwenigsten vor sich selbst. Und manchmal zeigt er uns eben auch seine andere Seite: Er verwandelt sich in ein vom Leben gebeuteltes und schrecklich benachteiligtes Wesen. Eine überaus bemitleidenswerte Kreatur, die nach Liebe und Aufmerksamkeit dürstet. Zuwendung wird immer gerne entgegen genommen. Vor allem materielle. Er ist dabei in seiner übergroßen Bedürftigkeit wirklich anrührend. So sehr, dass sich bei Gutmenschen sofort das schlechte Gewissen meldet. Deswegen fällt es vielen schwer, ihm das Mitgefühl ernsthaft zu versagen. Er wirkt nämlich sehr überzeugend. Vor allem deswegen, weil seine Bedürftigkeit echt ist. Echt und unstillbar.