Gourmet oder Gourmand? Feinheiten der Esskultur
Der bedeutendste französische Gastrosoph Jean Anthelme Brillat-Savarin (1755 – 1826) schrieb:
„Es gibt eine bevorzugte Klasse, welche durch materielle und organische Vorausbestimmung zu den Genüssen des Geschmacks bestimmt ist“.
Die besten Voraussetzungen für Feinschmeckertum sind demnach ein gewisser Reichtum und gute Geschmacksnerven.
Brillat-Savarin hielt Gourmets für echte Connaisseurs mit einem extrem raffinierten und anspruchsvollen Gaumen und er wusste sogar, wie sie aussehen:
„Die geborenen Feinschmecker sind meistens von mittlerer Größe; sie haben ein rundes oder viereckiges Gesicht, glänzende Augen, kleine Stirn, kurze Nase, fleischige Lippen und rundes Kinn. Die Frauen sind drall, eher hübsch als schön und etwas zum Fettwerden geneigt.“
Näscherinnen und Asketen
Feinschmeckerinnen sind also nicht zu verwechseln mit den so genannten „Näscherinnen“. Letztere „haben feinere Züge, zarteres Aussehen, sind niedlicher und unterscheiden sich durch ein ganz eigentümliches Zungenschnalzen“. Brillat-Savarins Charakteristiken bestätigen im Wesentlichen sämtliche Vorurteile, die man schon immer gegenüber dem asketischen Typus hegte: Asketen sind nach Savarin diejenigen, denen die Natur die Fähigkeit zu wahren Geschmacksgenüssen auf ewig versagt hat. Sie „sind stets mager“ und „haben die langen Hosen erfunden“.
Vielfraß, Nimmersatt und Leckermaul
Die Bezeichnung „Gourmand“ ist in unserem Sprachgebrauch selten schmeichelhaft. Im besten Falle meinen wir jemanden, der alles Essbare zum Fressen gern hat. Ein Vielfraß, Kahlfresser, Nimmersatt und Leckermaul. Ein exzessiver Genießer, der gierig und gefräßig wie eine Heuschrecke über Buffets herfällt und alles in sich hinein schaufelt wie ein Scheunendrescher. Dabei klingt schon dezent an, woran es ihm eigentlich fehlt: An Mäßigung und exquisiter Sachkunde. Zumindest nach Einschätzung wahrer Gourmets.
Himmelschreiende Todsünden
Es ist noch gar nicht so lange her, als ein Gourmand gleich zwei Todsünden auf einmal beging - die der Wollust und die der Völlerei. Er hatte also ziemlich schlechte Karten auf einen Platz im Himmel. Todsünden sind nun einmal nicht lässlich. Das Gute an der katholischen Kirche ist immerhin, dass sie ihren Schäfchen immer ein Hintertürchen offen lässt. Ansonsten wäre nämlich kaum einer der hohen Klerikalen im Paradies anzutreffen. Man muss die Todsünden nur sattsam bereuen, dann wird man auch davon losgesprochen. Mal ganz abgesehen davon, dass das breite Kirchenvolk in den Jahrtausenden vor Brillat-Savarin schon wegen seiner stets prekären Lage eher selten in den Genuss kam, die Todsünde der Völlerei zu begehen.
“He that but looketh on a plate of ham and eggs to lust after it hath already committed breakfast with it in his heart” (Wer den Speck und die Eier auf seinem Teller lustvoll betrachtet, hat in seinem Herzen bereits Frühstück begangen), C. S. Lewis
Der fränkische Lukullus
Der Begriff „Gourmand“ hat inzwischen seine Bedeutung gewandelt. Er meint heute eher den, der gutes Essen einfach sehr zu schätzen weiß. Wie zum Beispiel auch der fränkische Kahlfresser, der im gesamten Umland berüchtigt ist. Er schwärmt ja am Wochenende nicht etwa deswegen aus, weil er sich kulturell erbauen oder gar an der freien Natur bewegen möchte, sondern nur, um sich neue kulinarische Wirkungsstätten zu erschließen.
Der fränkische Lukullus wird damit eher dem französischen Sprachgebrauch gerecht. Dort hatte der „Gourmand“ nie diesen negativen Beigeschmack und war durchaus ein würdigender Titel. Ein Kompliment für jemanden, der sich für einen erlesenen Tropfen begeistern kann. Seinen Ursprung hat der Begriff vermutlich in der englischen Bezeichnung „groom“ – dem Fuhrknecht, der den Wein brachte. Der Groumet und später eben Gourmet war einer, der sich bestens mit Wein auskannte und obendrein gerne gut und reichlich schlemmte.
Gourmet oder Gourmand?
Gourmet oder Gourmand – beide genießen das Essen. Auf ihre eigene Art und Weise. Der eine ist eben mehr der Epikureer unter den Genießern, der andere ganz klar ein Hedonist. Ein wahrer Gourmet ist immer auch ein echter Snob. Er rümpft angewidert die Nase, wenn ihn jemand als Gourmand, Epikureer oder Lukullus bezeichnet. Der Gourmand würde vermutlich gar nicht erst auf die Idee kommen, sich selbst als Gourmet zu betrachten. Denn während der Gourmet nur das Beste vom Besten genießt, zelebriert der Gourmand bereits das Einkaufen, dann das Kochen, schließlich das Experimentieren und letztlich natürlich vor allem das Erlebnis Essen selbst. Er spielt mit dem Essen und lässt dabei nichts unversucht, um vielleicht einem einzigartigen neuen Genuss auf die Spur zu kommen.