Nürnberg nach Kriegsende 1945

Nürnberg im Januar 1945 - Stadt der Tränen

Nürnberg ist eine lebens- und liebenswerte Stadt. Touristen, aber auch viele Gäste aus der unmittelbaren Nachbarschaft machen sich kaum die Mühe hinter die Fassaden zu blicken: Das alte Gemäuer in der historischer Altstadt ist keineswegs ursprünglich mittelalterlich. Keine Mauer, kein Stein war damals auf dem anderen stehen geblieben. Nicht einmal die Ruinen. Die Bombennacht vom 01. auf den 02. Januar 1945 verwandelte Nürnbergs historisches Erbe in eine trostlose Wüste aus Gesteinsbrocken und glühender Asche. Und, sofern sie nicht den Luftangriffen zum Opfer gefallen waren, verzweifelten und tief in ihrer Seele verwundeten Menschen.

Das Herz der Stadt - tief getroffen

Die Zerstörungen waren derart gewaltig, dass man eine Wiedererrichtung Nürnbergs für ein aussichtsloses Unterfangen hielt. Man dachte ernsthaft darüber nach, eine neue Stadt neben der alten zu errichten. Es war eine beinahe übermenschliche Leistung, die diese Nürnberger beim Wiederaufbau aus den Trümmern einer vollendeten Niederlage vollbracht haben.

Und man wird sich - bei allen furchtbaren Dingen, die wir Deutschen anderen Menschen angetan haben - unweigerlich die Frage stellen, wie Menschen im Namen der Gerechtigkeit so viel Zerstörung, Verwüstung und Entsetzen über andere bringen konnten. Sie haben nicht nur Leben genommen, sondern einen Teil des kulturellen Erbes - nicht nur der Nürnberger, nicht nur der Deutschen, sondern der Menschheit - vollkommen dem Erdboden gleich gemacht.

90 Prozent einer Stadt, die in 900 Jahren zu dem gewachsen war, was sie damals war - unwiederbringlich vernichtet.

Ich sah, wie Nürnberg unterging...

Das Herz der Stadt glühte förmlich. Es strahlte mehrere Tage lang eine derart ungeheuerliche Hitze ab, dass es ihren Einwohnern unmöglich war, dorthin zu gehen. Die Menschen waren in Schockstarre gebannt. Sie rangen um Fassung, waren sprachlos und, wie ihre einst stolze Stadt, in den Grundfesten erschüttert. Es dauerte Tage, Wochen, Monate, teilweise Jahre und Jahrzehnte bis einige von ihnen die Kraft fanden, das unbeschreibliche Ausmaß der von ihnen vorgefundenen Katastrophe für die Nachwelt in Worte zu fassen.

Mühselig beladen schleichen die Bewohner (...) Gespenstern gleich durch schmale Steige, die sich durch die Trümmer schlängeln. (...) Das Burgmassiv ist zum Skelett geworden. (...) Wo ist das Rathaus? Wo die Turmspitzen von St. Sebald? Wo die Dächer und Dächlein, die so anheimelnd, schuppigen Fischkörpern gleich, seit Menschengedenken den Burgberg heraufkrochen? (...) Fast das ganze Geviert von Egidien ist eingeebnet. (...) Der Blick von dieser Stelle aus ist eine Folter. (...) Die Stadt hat ihr Gesicht, ihren Charakter, ihre Farbe, ihre Schönheit verloren. Das Antlitz der alten Noris ist zerfurcht, zerwühlt, vernichtet, zerschlagen (...)." [Fritz Nadler , 3. Januar vormittags, in: „Ich sah, wie Nürnberg unterging...!", Nürnberg 1955]

Aber nie vergesse ich, wie uns im hoffnungslos ruinierten Nürnberg der alte Museumsdirektor auf die Burg führte, damit wir den Blick auf die Stadt genössen. „Der Turm, der Brunnen dort" sagte er mit zitternder Stimme, „sehen Sie nur, sie stehen noch. Die Stätten des Dürer-, des Pirckheimerhauses, die sind noch erkennbar, nicht wahr? Die Handschrift ist es doch noch, gewissermaßen ist noch alles da..." Nichts war mehr da, aber er beredete sich, es noch zu sehen. Es war zum Weinen." [Thomas Mann, Es war zum Weinen, in: Reisebericht. Gesammelte Werke Bd. 11, Frankfurt 1960] 

 

Nürnberg...! Das war eine Stadt und ist jetzt eine Schutthalde. Das war gemütlich-bürgerlich. Jetzt ist es ein Grauen. (...) Du siehst kaum anderes als Geröll. Irreführend wäre das Wort „Ruinen", denn da denkt man immerhin an gewesene Behausungen. Dies aber ist dem Staub näher als der billigen Vorstellung zerrissener Wände, so dass im gegenwärtigen Augenblick der Gedanke nicht abwegig erscheint: dieses Trümmertal seinem Zustand zu überlassen und ein neues Nürnberg nebenan zu erbauen. (...) Was vorläufig in Nürnberg drückender ist als Nürnberg, sind die Nürnberger. (...) Es ist als lebten sie in einer unteren Stadt mit der stumpfen Empfindung, dass es eine obere gibt, von deren vorhanden sein sie immer wissen." [Alfred Kerr, Nürnberg, eine Schutthalde, in: „Ich sah, wie Nürnberg unterging...!" (s. o.)]