Knigge

Respekt und Internet - ein Widerspruch?

Kann sich das, was wir unter Respekt verstehen, mit dem Zeitgeist verändern? Adolf Freiherr Knigge würde sich vermutlich im Grabe herum drehen. Ihm ging es nämlich damals nicht um die höfische Etikette, den Benimm bei Tisch oder das korrekte Outfit für jeden Anlass. Sein Anliegen war der respektvolle Umgang der Menschen untereinander.

"Erſtes Capittel. Allgemeine Bemerkun¬
gen und Vorſchriften uͤber den Um¬
gang mit Menſchen.


1) Jeder Menſch muß ſich in der Welt
ſelbſt gelten machen. Anwendung dieſes Saz¬
zes. 2) Man ſoll ſeine unangenehme Lage ſo
viel moͤglich vor Andern verbergen. 3) Man
ſoll aber auch ſeine gluͤcklichen Umſtaͤnde nicht
zu deutlich zeigen, ſein Uebergewicht uͤber Andre
nicht zu merklich werden laſſen, nicht zu viel
Verbindlichkeiten auflegen. 4) Ueber Zuver¬
ſicht zu ſich ſelbſt und die gute Hofnung, die..."

[Knigge, Adolph von: Ueber den Umgang mit Menschen. Bd. 1. Hannover, 1788]

Respekt, Wertschätzung, Taktgefühl und Höflichkeit sind zeitlos. Sie wandeln sich nicht in Abhängigkeit von Moden oder technischen Neuerungen. Respekt ist keine Modeerscheinung.

Gelten im Internet andere Umgangsformen?

Wenn Sie im realen Leben einen Raum betreten, werden Sie vermutlich zunächst höflich grüßen. Das gehört nach wie vor zu unserer allgemeinen Auffassung von einem respektvollen Umgang miteinander. Sie würden wohl kaum im Wartezimmer beim Arzt oder beim Friseur mit der Tür ins Haus fallen und einen bis dahin Unbekannten fragen:

"Wollen Sie mein Freund sein?" 

Sie würden ihm vermutlich auch keine erotischen Selfies auf Ihrem Smartphone zeigen, keine intime Details über Ihr Privatleben verbreiten, sich nicht in Gespräche Ihrer Sitznachbarn einmischen oder plötzlich laut herumschreien. Im Internet gelten letztlich genau die gleichen Regeln für den Umgang mit anderen Menschen wie beim Arzt, auf der Straße, im Büro oder im Café.

Wie kommt es also, dass viele glauben, das Internet setze die üblichen Regeln im respektvollen Umgang miteinander außer Kraft? Man kann das Netz vielleicht ein bisschen mit dem Straßenverkehr vergleichen: Der Schutzwall aus Blech führt dazu, dass ich die anderen Verkehrsteilnehmer nicht mehr als Menschen wahrnehme. Die Kommunikation erfolgt weitgehend anonym. Da setzt sich nicht selten das Recht des (vermeintlich) Stärkeren durch.

Neue Lockerheit oder einfach nur Respektlosigkeit?

Soziale Netzwerke waren lange eine Domäne der Jugendkultur. Das ist auch ein Grund dafür, warum sich dort einige Regeln etabliert haben, die unseren gewohnten Vorstellungen von einem respektvollen Umgangston widersprechen

Junge Menschen genießen zumindest für geraume Zeit eine Art Welpenschutz. Sie dürfen über die Stränge schlagen, gerade in der Pubertät. Aber auch von ihnen wird erwartet, dass sie den Knigge beherrschen. Spätestens mit dem Eintritt ins Berufsleben.

Es gibt keinen guten Grund, respektloses Verhalten unreflektiert zu übernehmen. Nicht im wirklichen Leben und nicht im Internet. Wir sollten es nicht einfach hinnehmen, wenn sich erwachsene Personen an den „lockeren“ Stil, der im Internet vorherrscht, anpassen. Im Gegenteil. Gerade deswegen, weil wir mehr Lebenserfahrung mitbringen, sollten wir auch mit gutem Beispiel voran gehen. Wir sollten uns bemühen, einander mit Respekt zu begegnen. Die wichtigste Regel im Internet lautet:

Vergessen Sie niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!